Zwei Jahre lebte ich in Paris – 2009 & 2010. Beim Umzug wurde ich seltsam angeschaut, als ich darauf bestand, dass meine Wohnung eine sichere Abstellmöglichkeit für mein Rad bieten sollte. Die wildesten Aussagen hörte ich von der Immobiliendame: “Ein Rad?? Aber warum?”, “..diese Wohnung ist super, hat ein Zimmer mehr als gewünscht, da können Sie Ihr Rad abstellen..” [3. Stock Altbau ohne Aufzug!], “Sie immer mit Ihrem Rad”, usw. Schlussendlich fand ich eine Wohnung, zu der sogar ein eigener Abstellraum für Räder gehörte. Leider behielt die gute Dame recht: Als ich nach zwei Jahren zurück nach Hamburg zog, vergaß ich mein Rad fast im Abstellraum. Es war verstaubt, die Reifen luftleer. Angesichts des Pariser Verkehrs bin ich kein einziges Mal darauf gefahren, legte dafür so viele Strecken zu Fuß zurück wie nie zuvor. In einem Sommer ließ ich mich überreden ein vélib (StadtRad) zu mieten, fuhr ängstlich nach hinten schauend damit nach Hause. Glücklicherweise waren im August fast nur Touristen in der Stadt, die vor Überwältigung eh vorsichtig fuhren. Soweit mein Bild vom Radfahren in Paris.
Seit etwa 2013 höre ich immer öfter, dass Paris sich zur fahrradfreundlichen Stadt entwickelt, und kann es kaum glauben. Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin setzt sich stark für eine lebenswerte Stadt ein: sei es die Umwandlung von Bürogebäuden in Wohnraum, Begrünung der Straßen, das Fahrverbot für alte Diesel in der Stadt oder bessere Bedingungen für Rad- und Fußgänger. Zeit, endlich alte Freunde in Paris zu besuchen und mir selbst ein Bild zu machen.
Schon vor der Haustür einer Freundin im 14. Arrondissement überraschte mich die Straßenmalerei: Radfahren gegen die Einbahnstraße war hier ausdrücklich erlaubt. Die Zahl der vélib Stationen hat fühlbar zugenommen. Also ab aufs Rad zur Testfahrt in mein altes Viertel, das 6. Arrondissement.
Wie fast immer, wenn ich mich aufs Rad setze, strahlte ich über beide Ohren. Nun ganz besonders: Ich Rad fahrend im 14.! Zunächst ging’s durch eine Straße, die für Autofahrer nicht breit genug zum Überholen von Radfahrern ist. Zu meinem Erstaunen wurde hinter uns gesittet gefahren, nicht gehupt und gedrängelt. Beim Abbiegen auf die vierspurige Hauptstraße bot sich der Radstreifen als Parkplatz dar. Wieder kein Hupen und Drängeln, als ich wie gewohnt mit gebührendem Abstand zu den parkenden Autos mittig auf der Spur fuhr. Fast wäre ich über die rote Ampel vor mir gefahren, so irritiert war ich. Am Tour de Montparnasse wurden Radfahrer und Busse auf einer Spur geführt, ähnlich wie an der Hamburger Feldstraße.
Als wir uns dem Place du 18 Juin 1940 näherten, erinnerte ich mich, dass dort zu fast jeder Zeit ein Gewusel aus Fahrzeugen bestand, das Queren als Fußgängerin kein Spaß war. Auch hier glitten wir quasi durch, um in die Rue de Rennes zu gelangen. Von letzterer habe ich leider kein Foto gemacht. Sie weist heute beidseitige Radstreifen auf, Autofahrer reagierten entspannt auf mein gewohnt eher mittiges Fahren. Incroyable!!
Auch an den Hauptverkehrsadern und Touristenorten hat sich einiges getan:
Beim jetzigen Betrachten der Fotos kann ich es immer noch kaum glauben, was sich in den letzten Jahren hier verändert hat. Klasse!
Um private Autos aus den Wohnvierteln zu verdrängen, gibt es nun vermehrt Rad- und “Moto”- Parkplätze (Moto = motorisiertes Zweirad). Autoparkplätze sind fast ausschließlich “payant”, dürfen nur gegen Parkgebühr genutzt werden. Die bewährten Lieferparkplätze (“livraison”) sind weiterhin in fast jeder Straße vorhanden.
Gut, mancher Parkplatz muss ab und an für Zeremonien herhalten. Aus dem Fenster konnten wir entspannt der Ehrung eines französisch-armenischen Veteranen beiwohnen. 🙂
Fahrradläden folgen Radfahrern. Neue Radläden waren überall zu sehen.
Kurz bevor’s wieder nach Hamburg ging, fuhren zwei Radpolizisten in flottem Tempo vorbei.
Beeindruckend, was sich in Paris in so kurzer Zeit getan hat! Es zeigt, wie schnell und teils pragmatisch Lösungen für eine lebenswertere Stadt umgesetzt werden können.
Bravo Anne Hidalgo!